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8 Gründe gegen Schlaftraining für Babys

Daniela Scholer, David Scholer | Zuletzt aktualisiert: 09. April 2024

8 Min. Lesedauer

Was versteht man unter Schlaftraining für Babys?

Zuerst, was genau versteht man nun unter Schlaftraining für Babys? Schlaftraining oder Schlafprogramme basieren auf der Annahme, dass Babys lernen müssen, allein einzuschlafen und durchzuschlafen.

Die bekannteste Form ist die Ferber-Methode. Bei der Ferber-Methode, auch „Ferbern“ genannt, werden Babys allein schreien gelassen und die Schreiphase wird schrittweise so lange verlängert, bis das Kind schläft.

Es gibt auch die Cry-it-out-Methode, bei der Kinder über lange Zeiträume allein schreien gelassen werden. Diese Methoden werden angewendet, bis das Kind die neuen Bedingungen akzeptiert. Oft muss das Training mehrmals wiederholt werden, da Kinder bei neuen Entwicklungsschritten vermehrt Nähe einfordern können. In einigen Fällen werden unruhige Kinder sogar im Kinderzimmer eingeschlossen, um sie im Bett zu halten.

Für uns kling diese Vorstellung fruchtbar. Irgendwie hat man doch als Vater oder Mutter den instinktiven Drang, seinem schreienden Kind helfen zu wollen. Sein kleines geliebtes Baby bewusst schreien zu lassen, wirkt daher zurecht verstörend. Für viele wenig verwunderlich, weshalb Schlaftraining umstritten ist. Wir zählen in diesem Beitrag 7 Gründe auf, die unserer Meinung nach wichtig sind.

Was sind die Nachteile von Schlaftraining für Babys?

Die Krux mit den Studien

Aus wissenschaftlicher Sicht muss man klar sagen, dass die unten angeführten Nachteile nicht eindeutig mittels valider Daten belegbar sind. Es gibt weder Metaanalysen noch Systematische Übersichtsarbeiten (Systematic Reviews) zu diesem Thema. Die Ursachen hierfür findest du weiter unten. Wenn wir von einer bindungsorientierten Beziehung reden, dann sind folgende Argumente unseres Erachtens jedoch gut nachvollziehbar und sinnstiftend.

An den Bedürfnissen des Kindes vorbei

Als bindungsorientierte und bedürfnisorientierte Babyberatung sind uns die Bedürfnisse des Nachwuchses (und seiner Familie) natürlich sehr wichtig. Daher können wir pauschal sagen, dass Schlaftraining an den Bedürfnissen des Kindes vorbeigeht.

Das Selbstbild des Kindes wird gestört

Beim Schlaftraining kann ein Kind eine Trennungsangst empfinden und die Beziehung zu den Eltern wird negativ beeinflusst. Es lernt, seine Gefühle nicht auszudrücken und auf sich selbst angewiesen zu sein. Diese frühen Beziehungserfahrungen prägen das spätere Vertrauen und Selbstwertgefühl des Kindes. Während des Schlaftrainings fühlen sich Kinder verlassen und zweifeln an ihrer eigenen Persönlichkeit. Sie haben Angst und fragen sich, ob sie gut genug sind, Trost verdienen oder etwas falsch machen. Das Selbstbild des Kindes kann negativ beeinflusst werden, da es auf die Anwesenheit und Unterstützung der Eltern angewiesen ist.

Kinder sind soziale Wesen und wollen eine positive Beziehung zu ihren Eltern aufrechterhalten. Sie suchen die Schuld eher bei sich selbst als bei ihren geliebten Eltern.

Verunsicherung beim Kind

Die Durchführung eines Schlaftrainings kann sich negativ auf die Beziehung zwischen Eltern und Kind auswirken. Insbesondere wenn die Eltern im Alltag normalerweise auf die Signale des Kindes reagieren. Wenn das Kind tagsüber weint, dann wird es im Regelfall in den Arm genommen und getröstet. Verhalten sich die Eltern plötzlich ganz anders und lassen das Kind schreien, dann kann dies das Kind stark verunsichern.

Das Kind fragt sich vielleicht, warum es tagsüber liebevoll von seinen Eltern in den Arm genommen und getröstet wird, aber nachts niemand da ist, um ihm zu helfen.

Mangelndes Zeitgefühl

Das Zeitgefühl von Kindern ähnelt jenem eines Erwachsenen erst ab einem Alter von 8 bis 10 Jahren. Kleine Kinder haben noch kein Zeitgefühl. Lässt man sie selbst nur kurze Momente von 4-6 Minuten allein, so können ihnen diese Minuten wie Stunden erscheinen. Dies erzeugt beim Kind enormen Stress und schafft große Ängste. Beides ist für die Eltern-Kind-Beziehung nicht förderlich.

Die Folgen von Angst und Stress beim Schreien lassen

Wenn ein Baby schreit und seine Bezugspersonen nicht sofort reagieren, erlebt es enormen Stress. Das Schreien löst Angst aus, weil das Gehirn des Babys bereits stark aktiv ist und Emotionen sowie grundlegende Bedürfnisse verarbeitet. Babys müssen laut weinen, um auf ihre Notlagen und Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Kinder, die längeres Schreien erfahren, schalten in einen Überlebensmodus um, ähnlich dem Totstellreflex bei Tieren. Dieses Notfallprogramm beeinträchtigt die Gehirnentwicklung und das Baby lernt nicht, mit Stress umzugehen. Wenn das Baby verstummt, ist es nicht eingeschlafen, sondern befindet sich in einem erstarrten Zustand mit hohem Stresslevel. Das Baby hat kein Gefühl für Zeit und schreit länger, wenn es ignoriert wird. Studien zeigen, dass Babys, die kontinuierlich auf ihre Bedürfnisse reagiert bekommen, insgesamt weniger schreien.

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Ein Baby, das weint und keine Reaktion erhält, wird immer länger weinen, bis es in Panik gerät. Die Stressregulation des Babys wird überfordert, und es erlebt Todesangst und Panik. Das Baby reagiert entweder durch Erstarren oder schlaffe Erschöpfung. Beide Reaktionen sind nicht förderlich für die Entwicklung einer sicheren Bindung.

Schlaftraining für Babys schädigt das Vertrauen in ihre Bezugspersonen

Wenn das Baby das Vertrauen verliert, dass jemand auf sein Schreien reagiert, kann das langfristige Auswirkungen haben, die ihm nicht guttun. Wenn die Eltern nicht auf sein Weinen eingehen, lernt es nicht, wie es einschlafen kann, sondern es fühlt sich so, als ob seine Bedürfnisse ignoriert werden und niemand darauf achtet. Diese Situation ist sehr schwierig für ein kleines Baby, denn es möchte doch nur geliebt und umsorgt werden. Es ist wichtig, dass seine Eltern da sind und auf seine Bedürfnisse eingehen, um ihm das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu geben.

Schlaftraining für Babys zerstört das Urvertrauen

Das Urvertrauen ist der Grundstein für eine emotional stabile Persönlichkeit und eine positive Grundeinstellung zum Leben. Das Urvertrauen wird im ersten Lebensjahr gebildet. Ein frisch geschlüpftes Baby ist zu Beginn seines Lebens sehr hilflos. Es benötigt den Schutz, die Liebe und Geborgenheit seiner Eltern, um sich gut zu entwickeln. Wenn das Baby in den ersten Lebensmonaten diese wichtige Sicherheit, Wertschätzung und Liebe von seinen Eltern erfährt, wächst sein Vertrauen in die Eltern und ins Leben. Diese positive Erfahrung stärkt die innere Sicherheit und das Selbstvertrauen des Kindes. Es entwickelt ein Urvertrauen, welches durch ein positives Grundgefühl und Vertrauen in sich selbst, die Umgebung und das Leben geprägt sind. Das Urvertrauen ist während seines ganzen Lebens Teil seiner Persönlichkeit.

Bindungsforscher sehen einen Zusammenhang zwischen Schlaftraining und tiefgreifenden Problemen in der Beziehung zwischen Eltern und Kind. Probleme, die das Selbstwertgefühl beeinflussen und dazu führen können, dass das Urvertrauen nicht entwickelt wird. Diese Auswirkungen haben negative Konsequenzen für das gesamte Leben.

Schlaftraining für Babys löst Schuldgefühle bei der Mutter aus

Wenn eine Mutter nicht angemessen auf die Bedürfnisse ihres Kindes reagiert, kann im Laufe der Zeit eine Abstumpfung gegenüber den Signalen bzw. Bedürfnissen des Kindes auftreten. Es ist normal, dass in diesem Fall Schuldgefühle entstehen. Mütter empfinden oft Schuldgefühle, wenn sie Ratschläge von anderen befolgen, die im Konflikt mit ihrem eigenen Bauchgefühl stehen.

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Zusammenfassung: Die Nachteile vom Schlaftraining

  • An den Bedürfnissen des Kindes vorbei
  • Das Selbstbild des Kindes wird gestört
  • Das Kind wird verunsichert
  • Mangelndes Zeitgefühl kann zu enormem Stress und Angst führen
  • Schlaftraining schädigt das Vertrauen in die Bezugspersonen
  • Schlaftraining zerstört das Urvertrauen
  • Schlaftraining löst Schuldgefühle bei der Mutter aus

Wenn Schlaftraining für Babys schlecht ist, wieso gibt es dann immer noch Befürworter?

Bei vielen Kindern wird das von den Eltern kurzfristig angestrebte Ziel erreicht – die Kinder schlafen allein ein. Es gibt jedoch noch einen Aspekt ganz anderer Natur. Mit validen Fakten könnte man für Klarheit sorgen. D. h. mit Studien, die die Nachteile von Schlaftraining schwarz auf weiß anhand aussagekräftiger Daten belegen. Schön wäre es. Dies ist jedoch äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Warum? Wir haben uns einige Gedanken zu diesem Thema gemacht. Gedanken, die die Problematik sehr gut umreißen.

Der schlichte Mangel an aussagekräftigen Studien

Herbert Renz-Polster hat sich in einem sehr interessanten Beitrag zu einer australischen Studie über das Thema Schlaftraining geäußert. Er thematisiert zwar nicht per se den Punkt Studiendesign. Aber man bekommt einen sehr guten Einblick über mögliche Limitationen im Studiendesign, Herausforderungen bei der Durchführung von Langzeitstudien und anderen Faktoren.

Die meisten Studien zum Thema Schlaftraining dürften bereits an der ersten Hürde scheitern. Nämlich an einer fehlenden befürwortenden Stellungnahme einer zuständigen Ethikkommission. Um eine klinische Studie durchführen zu dürfen, braucht es ein positives Votum einer Ethikkommission. Ziel dieses Votums ist es sicherzustellen, dass die Rechte, das Wohlergehen und die Sicherheit der Studienteilnehmer gewährleistet sind.

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Für eine Ablehnung können Bedenken schon ausreichen. Dies können z. B. Bedenken in Bezug auf methodische Schwächen oder hinsichtlich potenziell negativer Auswirkungen auf die Probanden sein.

Wer die oberen Abschnitte gelesen hat, braucht wohl keine weiteren Details mehr. Wer sie nicht gelesen hat – es lohnt sich.

An und für sich ist dieser Punkt schon ausreichend, da die Studie vermutlich gar nicht erst durchgeführt werden darf. Aber es gibt noch weitere Gründe. Gründe, an denen sich vermutlich aber auch die eine oder andere Ethikkommission stoßen würde. Zum Beispiel hinsichtlich Randomisierung, Rekrutierung oder Compliance. Verstoßen Eltern gegen die Compliance, also gegen die Einhaltung der vorgegebenen Anordnungen, dann könnte ihr Kind aus der Studie rausfallen. Langzeit-Ergebnisse zu erhalten, dürfte ebenfalls recht schwierig sein. Wäre ein Ziel der Studie, eine potenzielle Bindungsangst zu untersuchen, so wären die Studienteilnehmer (bei Eintritt in die Studie noch Babys) gezwungen, viele Jahre später Auskunft über ihr intimstes Privatleben preiszugeben. Hierzu dürften nur wenige der Probanden Interesse haben. Es gibt noch viele weitere Faktoren. Um die Problematik valider klinischer Daten zu erörtern, dürften dies Ausführungen jedoch reichen.

Fazit: Es gibt sanftere Lösungen, die langfristig besser sind.

Aus obigen Gründen lehnen wir Schlaftraining ganz klar ab. Sie mögen kurzfristig funktionieren. Der Preis dafür ist jedoch sehr hoch. Herbert Renz-Polster und Nora Imlau haben es in ihrem Buch „Schlaf gut, Baby!: Der sanfte Weg zu ruhigen Nächten“ ganz gut auf den Punkt gebracht:

„Bedürfnisorientierte Elternschaft heißt, heute nach Lösungen für unsere kurzfristigen Ziele zu suchen, die mit unserem langfristigen Anliegen in Einklang stehen. Anstatt unsere Kinder also harten Ein- und Durchschlaftrainings zu unterziehen, entscheiden wir uns lieber für sanfte Lösungen […].“

Wenn du gerne mehr über das Thema Schlafen allgemein und über Schlaftraining erfahren möchtest, findest du hier weitere empfehlenswerte Literatur: